Die Gedanken sind frei / 2019
Soundinstallation von Simone Zaugg und Pfelder in der Gefängniszelle Nr. 1 des ehemaligen Frauengefängnisses Berlin-Lichterfelde, 2019
Freigänger, Ausstellung im ehemaligen Frauengefängnis, Berlin-Lichterfelde, D / Kuratoren: Helga-Marie Nordby und Crispin Gurholt



Soundfile (MP3, Dauer 30 Min. 21 Sec.), Mediaplayer, Aktivboxen
Konzept: Simone Zaugg und Pfelder | Voice: Simone Zaugg | Sound editing: Simone Zaugg und Pfelder

Aus der verschlossenen Gefängniszelle Nr. 1 im ehemaligen Frauengefängnis Lichterfelde ist eine Frauenstimme zu hören, die manchmal leise, manchmal laut ganze Strophen oder auch nur Fragmente des Volksliedes "Die Gedanken sind frei" singt oder vor sich her summt. Angelockt von der allgemein bekannten Melodie sieht die Besucher*in durch das kleine Guckloch in der Tür aber nur eine leere Zelle. Am hinteren Ende des sehr beengten Raumes gibt ein Fenster den Blick auf einen Baum und eine Hauswand frei. Ein kleiner Ausschnitt der freien Welt außerhalb der Gefängnismauern.
In dieser minimalistisch inszenierten assoziationsstarken Situation öffnet das Lied "Die Gedanken sind frei" jeder einzelnen Besucher*in eine Vielfalt von Interpretationen. Je nach Gemütsverfassung und Stimmung projiziert sich die Besucher*in selbst in die Zelle und in die Situation einer Gefangenen.
Unsere Gegenwart bietet viele aktuelle Szenarien: von Flüchtlingen, deren Reise anstatt in der Freiheit im Gefängnis endet, von Gefängnissen wie Guantanamo, die außerhalb des Rechtsstaates und ohne gesetzliche Grundlagen existieren, von menschenunwürdigen räumlichen und hygienischen Zuständen bis hin zu unvorstellbaren Folterkammern. So kann jede und jeder den Worten des widerständigen und trotzigen Liedtextes lauschen und dazu seinen eigenen kleinen Film mit eigenen Visionen oder mit Bildern aus den Medien in die kleine, leere Zelle hineindenken.
Das Volkslied hat eine lange Geschichte. Schon im 12. Jahrhundert sang der Minnesänger Walther von der Vogelweide, dass man Mann und Frau aber nicht die Gedanken fangen kann. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Süddeutschland und der Schweiz ein bekanntes Vorläuferlied, das mit "...es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei." endete. Immer wieder taucht das Lied in politisch einschneidenden Momenten auf. So spielte z.B. Sophie Scholl 1942 vor den Ulmer Gefängnismauern ihrem dort einsitzenden Vater das Lied auf der Blockflöte. Auch in einer global vernetzten und digital überwachten Welt, in der wir oft nicht mehr wissen wann, wo, wer, warum unsere digitalen Fingerprints zu Algorithmen verwandelt, gilt immer noch:
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei.


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